Frankfurter Neue Presse - Lokales  Montag, 05. März 2001

Musterschule singt und spielt die Abenteuer des Tom Sawyer

Nordend.  Der Tom erreicht, was er will. Und steht das Marmeladenglas im Schrank auch ganz oben, wird eben zuerst ein Stuhl herangeschoben.  

 
So stand es schon bei Mark Twain in seinem Jugendbuch-Klassiker, und in dem Tom Sawyer-Musical, das am Wochenende in der Musterschule zwei stürmisch beklatschte Aufführungen erlebt hat, ist es ebenso. Nur etwas ist anders: Statt nach dem Rohrstock zu greifen, um den Bengel zu versohlen, greift die wütende Tante Polly zum Mikrofon und singt. Was bleibt ihr auch anderes übrig? Der Tom ist längst getürmt. Ob Darsteller, Chorsänger oder die Musiker der Big Band - sie sind mit so viel Verve bei der Sache, dass der Funke der Begeisterung sofort aufs Publikum überspringt.
 
Kein Wunder, schließlich zeigt das Musical Toms schönste Streiche, und die Musik ist weitgehend fetzig. Musiklehrer Joachim Scior hat sie selbst geschrieben, schon 1987, als er noch als Referendar an der Humboldtschule in Bad Homburg war. Seit vier Jahren ist er nun an der Musterschule und hat seine Komposition für die neue Aufführung an einigen Stellen überarbeitet. Zum Beispiel die Friedhofsszene, in der Tom und sein Freund Huck unfreiwillig zu Zeugen eines Mordes werden. Mit Schülern aus der elften Klasse, die das Unterrichtsangebot „Schwerpunkt in Musik“ gewählt haben, hat er die neue akustische Untermalung kreiert. „Zunächst haben wir die Szene einstudiert, dann dazu improvisiert, und schließlich haben die Schüler ihre Ideen mehr oder minder selbst zusammengestellt“, erklärt Scior. Zur schaurigen Atmosphäre der Friedhofsszene trägt allerdings nicht nur die Musik, sondern auch das Bühnenbild bei. Der Entwurf dazu stammt von Schülern der zehnten Klasse, die unter Anleitung von Kunstlehrer Heiko Lengnik sämtliche Bühnendekorationen entworfen und hergestellt haben. Und nicht nur das: „Das Team, das die Kulissen gemacht hat, schiebt sie auch in den Umbaupausen hin und her“, sagt Lengnik.
 
So mobilisiert die Musical-Aufführung denn nicht nur alle Kräfte, sondern führt sie auch zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammen. „Als die Schüler gesehen haben, wie die Aufführung schließlich Gestalt annimmt, hat das allen nochmal einen unheimlichen Schub gegeben“, sagt Lehrer Uwe Schmidt, der bei der Aufführung Regie führt. Dass die jungen Darsteller sich blitzschnell zu helfen wissen, wenn sich während der Aufführung kleine Abweichungen zum Text ergeben, hat er mit Faszination beobachtet. Doch auch für die Zuschauer haben die Darsteller einige Überraschungen parat. Etwa, dass Tom und seine Freunde Rock ’n’ Roll tanzen können und einige von ihnen sogar voll korrekt Konstablerwachendeutsch beherrschen. Und während auf der Bühne das Leben tobt, steht links davon ein Chor aus Schülern der fünften bis siebten Klasse, der sich auch immer wieder ins Geschehen einmischt. (ket)  
 
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Frankfurter Rundschau    29.03.2001

Alle durften Glanzpunkte setzen

Musterschüler polierten das Musical "Tom Sawyer" auf

Von Annette Wollenhaupt

Mark Twains Geschichten vom pfiffig-liebenswerten Tom Sawyer entstanden 1876. Dass sie auch noch nach 125 Jahren - in Zeiten von Internet und Big Brother - Unterhaltungswert haben können, bewiesen Schülerinnen und Schüler der Musterschule mit dem Musical "Tom Sawyer"

NORDEND. Man kann ihm einfach nicht ernstlich böse sein. Auch Tante Polly ist seinem Charme erlegen, und wenn Tom sich mit Raffinesse und entwaffnend naivem Augenaufschlag gekonnt durchs Leben mogelt, dann setzt es natürlich trotz vehementer Drohungen ihrerseits keine Hiebe. Mark Twains Lausbubengeschichten scheinen auf den ersten Blick nicht wirklich ein Renner zu sein für ein Publikum des Jahres 2001. Doch wer die Musical-Version, frei nach Twain, in einer der vier ausverkauften Aula-Aufführungen der Musterschule erlebt hat, hat auch erlebt, dass junge Leute mit viel Fantasie, Spiel- und Musizierlust dem Ganzen wieder pralles Leben verleihen können.

Unter Regie von Uwe Schmidt und musikalischer Leitung von Joachim Scior entstand ein temporeiches Musical, das Komödien-, Krimi- und Liebesgeschichts-Elemente miteinander verknüpft und dem - sparsam dosiert - aktuelle Versatzstücke einverleibt wurden. So fährt ein junger Schauspieler mit einem Alu-Tretroller über die Bühne, und als Tom sich um das Zäunestreichen herum drücken will, macht er den Nachbarskindern das Pinseln so schmackhaft, dass sie unter anderem sogar den heißgeliebten Eintracht-Frankfurt-Fanschal hergeben.

Die Inszenierung zeichnete sich dadurch aus, dass alle Mitwirkenden Glanzmomente hatten - obwohl die Darsteller der tragenden Rollen im Vordergrund standen: der zierliche Frank Kienast in der Rolle des Tom, Ricarda Bechstein als Huck, Rosa von Gleichen als romantisch veranlagte Becky und Toms große Liebe sowie Anna Kraus als Tante Polly und Philipp Mehr als kaltblütiger Indianer Joe. Oder der Chor mit seinem anfangs flüsternden Sprechgesang, der an Dynamik und Lautstärke zunimmt, als das Gerücht, Muff Potter habe Dr. Robinson ermordet, wie ein Lauffeuer herumgeht, und so die menschenverachtende Dynamik dramatisch umsetzt.

Auch die Musiker der das Stück durchgängig begleitenden Big Band setzten die jeweilige Bühnenstimmung beeindruckend um. Nadia Bauer schlüpfte - mit heller Glockenstimme und natürlichem Charme - in die Rolle des Mississippi-Dampfer-Kapitäns Ben. Frauke Hollerbach erweckte den Richter Thatcher, ein unerschütterlicher, weiser Verfechter der Gerechtigkeit, souverän und gelassen zum Leben. Schließlich Julia Krust, die als dauer-betrunkener, torkelnder Muff Potter Indianer Joe immer wieder zu cholerischen Anfällen veranlasst.

Mit besonders großem Applaus wurde Philipp Mehr, ein hochgewachsener Achtklässler mit erstaunlich tiefer Stimme, den mancher Zuschauer für einen Lehrer gehalten hat, bedacht. Er verpasste Indianer Joe wahrlich die Züge eines erbarmungslosen Schurken. Mit seinem ausgeprägten Gesangstalent beeindruckte er zudem solchermaßen, dass man ihm durchaus zutraut, eines Tages mit Musik sein Geld zu verdienen.

Wie einer Inszenierung auch durch kleine, unscheinbare Dinge Zauber verliehen werden kann, zeigte die Szene, in der Tom und Becky in der Tropfsteinhöhle auf Indianer Joe treffen, der mit Tom noch ein Hühnchen rupfen möchte. In Windeseile verwandelte sich die Aula in eine gespenstische Tropfsteinhöhle. Aus allen Ecken war das Tropfen zu hören: Was als Zungenschnalzen eines einzelnen Zuschauers begann, zog seine Kreise und animierte die anderen zum Mitmachen bei der lebendigen Gemeinschafts-"Geräuschkulisse".
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