Alle durften Glanzpunkte setzen
Musterschüler polierten das Musical "Tom Sawyer" auf
Von Annette Wollenhaupt
Mark Twains Geschichten vom pfiffig-liebenswerten Tom Sawyer entstanden 1876. Dass sie auch noch nach 125 Jahren - in Zeiten von Internet und Big Brother - Unterhaltungswert haben können, bewiesen Schülerinnen und Schüler der Musterschule mit dem Musical "Tom Sawyer"
NORDEND. Man kann ihm einfach nicht ernstlich böse sein. Auch Tante Polly ist seinem Charme erlegen, und wenn Tom sich mit Raffinesse und entwaffnend naivem Augenaufschlag gekonnt durchs Leben mogelt, dann setzt es natürlich trotz vehementer Drohungen ihrerseits keine Hiebe. Mark Twains Lausbubengeschichten scheinen auf den ersten Blick nicht wirklich ein Renner zu sein für ein Publikum des Jahres 2001. Doch wer die Musical-Version, frei nach Twain, in einer der vier ausverkauften Aula-Aufführungen der Musterschule erlebt hat, hat auch erlebt, dass junge Leute mit viel Fantasie, Spiel- und Musizierlust dem Ganzen wieder pralles Leben verleihen können.
Unter Regie von Uwe Schmidt und musikalischer Leitung von Joachim Scior entstand ein temporeiches Musical, das Komödien-, Krimi- und Liebesgeschichts-Elemente miteinander verknüpft und dem - sparsam dosiert - aktuelle Versatzstücke einverleibt wurden. So fährt ein junger Schauspieler mit einem Alu-Tretroller über die Bühne, und als Tom sich um das Zäunestreichen herum drücken will, macht er den Nachbarskindern das Pinseln so schmackhaft, dass sie unter anderem sogar den heißgeliebten Eintracht-Frankfurt-Fanschal hergeben.
Die Inszenierung zeichnete sich dadurch aus, dass alle Mitwirkenden Glanzmomente hatten - obwohl die Darsteller der tragenden Rollen im Vordergrund standen: der zierliche Frank Kienast in der Rolle des Tom, Ricarda Bechstein als Huck, Rosa von Gleichen als romantisch veranlagte Becky und Toms große Liebe sowie Anna Kraus als Tante Polly und Philipp Mehr als kaltblütiger Indianer Joe. Oder der Chor mit seinem anfangs flüsternden Sprechgesang, der an Dynamik und Lautstärke zunimmt, als das Gerücht, Muff Potter habe Dr. Robinson ermordet, wie ein Lauffeuer herumgeht, und so die menschenverachtende Dynamik dramatisch umsetzt.
Auch die Musiker der das Stück durchgängig begleitenden Big Band setzten die jeweilige Bühnenstimmung beeindruckend um. Nadia Bauer schlüpfte - mit heller Glockenstimme und natürlichem Charme - in die Rolle des Mississippi-Dampfer-Kapitäns Ben. Frauke Hollerbach erweckte den Richter Thatcher, ein unerschütterlicher, weiser Verfechter der Gerechtigkeit, souverän und gelassen zum Leben. Schließlich Julia Krust, die als dauer-betrunkener, torkelnder Muff Potter Indianer Joe immer wieder zu cholerischen Anfällen veranlasst.
Mit besonders großem Applaus wurde Philipp Mehr, ein hochgewachsener Achtklässler mit erstaunlich tiefer Stimme, den mancher Zuschauer für einen Lehrer gehalten hat, bedacht. Er verpasste Indianer Joe wahrlich die Züge eines erbarmungslosen Schurken. Mit seinem ausgeprägten Gesangstalent beeindruckte er zudem solchermaßen, dass man ihm durchaus zutraut, eines Tages mit Musik sein Geld zu verdienen.
Wie einer Inszenierung auch durch
kleine, unscheinbare Dinge Zauber verliehen werden kann, zeigte die Szene,
in der Tom und Becky in der Tropfsteinhöhle auf Indianer Joe treffen, der
mit Tom noch ein Hühnchen rupfen möchte. In Windeseile verwandelte sich
die Aula in eine gespenstische Tropfsteinhöhle. Aus allen Ecken war das
Tropfen zu hören: Was als Zungenschnalzen eines einzelnen Zuschauers
begann, zog seine Kreise und animierte die anderen zum Mitmachen bei der
lebendigen Gemeinschafts-"Geräuschkulisse".
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© Frankfurter Rundschau 2001